29. BUNDESTREFFEN DER LANDSMANNSCHAFT DER DEUTSCHEN AUS RUSSLAND |
Dr. Christoph Bergner Rede zum 29. Bundestreffen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland am 26. Mai 2007 in den Rhein-Main-Hallen Wiesbaden
sehr geehrte Frau Minister Lautenschläger, verehrte Frau Präsidentin Steinbach, Herr Kollege Fromme, Herr Kollege Kufen, liebe Mitglieder und Gäste der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, meine Damen und Herren, ich darf mich sehr herzlich für die Einladung bedanken. Ich freue mich, dass ich an diesem 29. Bundestreffen Ihrer Landsmannschaft teilnehmen kann und grüße Sie alle sehr herzlich. Ein besonderer Gruß gilt den weit gereisten Gästen, den Vertretern der Russlanddeutschen Dachorganisationen und Jugendorganisationen aus der GUS von der Komi-Region im Norden bis Almaty in Zentralasien, die zu diesem Treffen gekommen sind. Es ist erfreulich, dass Sie mit dabei sind, ich wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt, viele gute Begegnungen und wertvolle Impulse für die Arbeit in Ihren Verbänden. Ich grüße auch die Russlanddeutschen aus den USA, die zu diesem Treffen angereist sind Mit Blick auf das Land Hessen und auf den Schirmherren, Ministerpräsident Koch, tue ich dies gern und mit besonderem Nachdruck. Hessen kann in der Spätaussiedler- und Vertriebenenpolitik auf beispielhafte Leistungen verweisen. Ich denke dabei an den Landesbeauftragten Rudolf Friedrich, der hier seit Jahren eine aktive und kreative Arbeit leistet. Er ist für uns ein wichtiger und wertvoller Partner in der Aussiedlerarbeit. Es gibt in diesem Bundesland überzeugende Beispiele der Integrationsarbeit. Frau Ministerin hat dabei zu Recht Hasselroth erwähnt, wo ich erst kürzlich eigene Eindrücke sammeln konnte. Aber neben diesen zahlreichen Einzelleistungen und positiven Beispielen möchte ich besonders die Grundhaltung würdigen, die bei der Landesregierung, namentlich bei Roland Koch immer erkennbar ist: Für die Hessische Landesregierung ist Aussiedlerpolitik nicht irgendeine Zuwanderungspolitik. In Hessen weiß man, dass Verantwortung für die Volksgruppe der Russlanddeutschen Teil der nationalen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland ist, die wir nach dem 2. Weltkrieg zu tragen und bis heute wahrzunehmen haben. Nicht überall ist man sich dieser historisch-moralischen Dimension der Aussiedlerpolitik so bewusst wie hier. „Wir bekennen uns auch weiterhin zu der Verantwortung sowohl für diejenigen Menschen, die als Deutsche in Ost- und Südosteuropa sowie in der Sowjetunion unter den Folgen des 2. Weltkrieges gelitten haben und in ihrer jetzigen Heimat bleiben wollen, als auch für jene, die nach Deutschland aussiedeln. Dies gilt insbesondere für die Deutschen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, bei denen das Kriegsfolgenschicksal am längsten nachwirkt“. Im Sinne dieses eindeutigen Bekenntnisses überbringe ich die Grüße der Bundesregierung, namentlich der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die schon kurz nach Beginn ihrer Amtszeit während der deutsch-russischen Regierungskonsultationen in Tomsk ein Zeichen setzte, indem sie das Russlanddeutsche Haus und die Lutherische Kirche Tomsk besuchte und Gespräche mit Vertretern der Russlanddeutschen der Region führte, um ihre besondere Verbundenheit mit der deutschen Volksgruppe zu demonstrieren. Ich darf ebenfalls die Grüße von Minister Schäuble überbringen, der , wie auf dem Bild der Einladungsbroschüre erkennbar, bereits vor 17 Jahren hier in Wiesbaden bei der Versammlung der Landsmannschaft Gast war und die Belange der Russlanddeutschen immer aktiv begleitet und unterstützt hat. Erinnert sei an seine Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag der Deportationsdekrete im August letzten Jahres in Stuttgart. Sie haben die klaren Aussagen der Koalitionsvereinbarung gehört. Meine Aufgabe als Beauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten besteht darin, mich für die Umsetzung dieser Vorgaben und deutlichen Bekenntnisse einzusetzen. Dies ist nicht immer einfach. Über 60 Jahre nach Kriegsende widmet sich die öffentliche Aufmerksamkeit lieber anderen Fragen. Wer aber den Russlanddeutschen gerecht werden will, der muss bereit sein auch heute noch über ihr Kriegsfolgenschicksal und seine Nachwirkungen nachzudenken – sowohl mit Blick auf die Deutschen aus Russland, die hier ihren Weg in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland suchen – als auch hinsichtlich der Deutschen in Russland, die Russlanddeutschen in der Russischen Föderation und in anderen GUS-Staaten, die dort als nationale Minderheit leben. Nachfolgewirkungen des Kriegsfolgenschicksals – wie zeigen sie sich heute? Lassen Sie mich drei solcher Nachwirkungen erwähnen, die mir nach meinen Erfahrungen besonders wichtig erscheinen: Ein Artikel der Verbandszeitschrift „Volk auf dem Weg“ aus dem letzten Jahr hat mich nachhaltig beschäftigt. Es war eine Übersicht, in der die Bildungsabschlüsse der unterschiedlichen Völkerschaften der früheren Sowjetunion zu unterschiedlichen Zeitpunkten miteinander verglichen wurden. Während noch in den 20-er Jahren die Deutschen (neben den Juden) zu den am besten ausgebildeten Völkern der Sowjetunion gehörten, ist nach den Repressionen Ende der 30-er Jahre und vor allem während und nach dem 2. Weltkrieg der Qualifikationsstand der Deutschen dramatisch gesunken. Sie rangieren vierzig Jahre nach dem ersten Vergleich in der Rangfolge der 18 verglichenen Völkerschaften auf den letzten Plätzen. Gewiss, es gibt inzwischen Beispiele höchst qualifizierter Russlanddeutscher in hervorgehobenen Positionen, aber die Folgen von Entmündigung und Demütigung, die im ehemaligen kommunistischen Großreich Sowjetunion noch vielfältig erkennbar sind, treffen keine der Völkerschaften so nachhaltig wie die Russlanddeutschen. Ich danke allen, die dazu beitragen: der Landsmannschaft hier in Deutschland, dem IVDK und anderen Verbänden in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Hier übe auch ich Kritik an der Studie des Nürnberger Institutes für Arbeitsmarktforschung IAB, die in den bisherigen Reden ja bereits ausführlich Erwähnung fand. Ich vermute, dass die Statistik, die ihr zugrunde liegt, fehlerhaft ist. Wir werden uns damit im erweiterten Aussiedlerbeirat noch auseinander setzen. Aber was mich am meister ärgert ist, dass diese IAB- Studie diskriminierende Urteile in die Öffentlichkeit trägt, ohne die komplizierte Ausgangssituation der russlanddeutschen Spätaussiedler auch nur ansatzweise in den Blick zu nehmen und mit der Überschrift „Arbeitslosigkeit bei Aussiedlern viel höher als bei Ausländern“ genau die Tugenden in Zweifel zieht, die sich die Russlanddeutschen über die Jahre der Unterdrückung bewahrt haben : Fleiß und Arbeitswille. Damit komme ich zur dritten Nachwirkung des Kriegsfolgenschicksals, die ich ansprechen möchte, den Verlust der deutschen Sprache. Zu den ärgerlichsten Vorurteilen gegenüber Russlanddeutschen, die übrigens selbst bei einigen Landesinnenministern anzutreffen sind, gehört die Meinung, der erhebliche Verlust deutscher Sprachkenntnisse unter Russlanddeutschen sei ein Ergebnis von Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit im Verhältnis zur eigenen sprachlichen Herkunft. Dies ist falsch! Der Verlust der deutschen Sprachkenntnis ist eindeutig eine Folge der Unterdrückung. Für alle die das noch immer nicht begreifen wollen, zitiere ich gern aus einem Gedicht der russlanddeutschen Dichterin Erna Hummel, das eine Liebeserklärung und eine Leidensgeschichte im Verhältnis zur eigenen Sprache beschreibt. Ich darf wenige Strophen aus diesem Gedicht zitieren:
Für mich ist es fatal, dass die deutsche Sprachkenntnis durch unsere Rechtssprechung und Gesetzgebung zur Voraussetzung für die Aufnahme von Russlanddeutschen als Spätaussiedler (bzw. deren Angehörige) geworden ist, denn der Verlust an Sprache ist doch Teil des Kriegsfolgenschicksals, das unsere besondere Verantwortung begründet. Gewiss, ich sehe keine Chance, diese Entscheidungen zu revidieren, aber ich fühle mich verpflichtet, die Probleme, die damit verbunden sind, offen anzusprechen. So hat die nachträgliche Einführung immer höherer Aufnahmehürden durch immer neue Sprachkriterien zu teilweise bitteren Familientrennungen geführt, von denen ich fast bei jeder Sprechstunde durch die Schilderungen von Betroffenen erfahre. Ich möchte Ihnen wenigstens versichern, dass ich nach Wegen suche, wie man irgendwann in der Zukunft zumindest die schlimmsten dieser Trennungstragödien überwinden kann. Fataler als die Auswirkung auf die Aufnahme von Russlanddeutschen als Spätaussiedler ist ein falsches Bild der Russlanddeutschen, das in Verbindung mit dem unsachgemäßen Pochen auf die Sprachvoraussetzung entsteht und sich meist so ausdrückt: „Sie kennen die deutsche Sprache nicht oder nur unzureichend, also sind sie keine Deutschen.“ So oder ähnlich lässt sich ein weit verbreiteter Irrtum beschreiben. Dieser Irrtum führt zu irreführenden oft kränkenden Begriffen, wenn es um die Bezeichnung Ihrer Volksgruppe geht: „Deutschrussen“, „Russen“ oder, wie bis vor kurzem im Bundesvertriebenengesetz „nichtdeutsche Abkömmlinge deutscher Spätaussiedler“- was soll das denn sein? Sie sind Deutsche! Sie sind jedenfalls Deutsche, wenn Sie es sein wollen. Lassen Sie sich Ihre deutsche Volkszugehörigkeit also nicht in Abrede stellen! Lassen Sie sich nicht zum Opfer einer Oberflächlichkeit machen, die in Deutschland in Fragen nationaler Bindungen und Geschichte leider weit verbreitet ist. Lassen Sie aber auch nicht zu, dass eine solche Oberflächlichkeit unter Ihnen Raum gewinnt. Ich weiß, dass mit diesem Appell ein kulturelles Dilemma verbunden ist, das ich mit zwei Zitaten beschreiben will: Zitat Nr. 1 :“Русский язык – это великий и могучий язык“ – so lese ich es bei Turgenjew. Und er hat Recht. Die russische Sprache ist eine großartige Sprache, so wie übrigens auch die deutsche Sprache großartig ist. Niemand muss also die russische Sprache vergessen, um seine deutsche Volkszugehörigkeit zu beweisen. Aber es gilt auch das zweite Zitat, das ich letzte Woche beim Heimatfest der Banater Schwaben in Rumänien lernte: „Wenn die eigene Sprache verlorengeht, zerfällt die Volksgruppe“. Das Zitat stammt von Adam Müller-Guttenbrunn, einem Poeten, der vor dem 1. Weltkrieg im Banat dem Druck der Madjarisierung der Banater Schwaben durch das ungarische Herrschaftshaus entgegentrat und die kulturelle Eigenart seiner deutschen Volksgruppe zu bewahren half. „Wenn die eigene Sprache verloren geht…“ Ich glaube, Müller-Guttenbrunn hat Recht. Wer seine eigene Identität bewahren will, wer eigene kulturelle Bindungen pflegen und erhalten möchte, der muss die eigene Sprache bewahren, die ja im Zentrum kultureller Bindungen steht. Wenn Sie als Russlanddeutsche Ihre eigene kulturelle Identität, für die Ihre Familien so viel gelitten haben, zukünftig nicht verlieren wollen -, wenn Sie heute nicht zulassen wollen, dass diese Identität zum Opfer oberflächlicher Geringschätzung wird, dann brauchen Sie Bindung an die deutsche Sprache: In Russland und in der GUS als Minderheitssprache, hier in Deutschland aber letztlich als eine wieder gewonnene Muttersprache. Ich habe dabei der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland ausdrücklich Dank zu sagen, dass sie ihre Verbandszeitschrift „Volk auf den Weg“ immer in deutscher Sprache veröffentlichte, auch wenn die Entscheidung für eine ausschließlich deutsche Zeitung angesichts der Zuwanderung vieler Russlanddeutscher mit geringer Sprachkenntnis sicher schwer gefallen ist. Sie haben damit ein Zeichen gesetzt, das Würdigung verdient, denn es geht letztlich um die Bewahrung der russlanddeutschen Identität. Es macht sich ein Begriff breit, der mir problematisch erscheint, der Begriff der „russischsprachigen Diaspora“. So wird immer häufiger gesprochen, wenn es um Menschen geht, die aus der ehemaligen Sowjetunion zu uns gekommen sind. Ich finde diesen Begriff unpassend, ja sogar unwürdig, wenn die 2,3 Mio. russlanddeutsche Spätaussiedler gemeint sein sollen. Hier wird geschichtslos kategorisiert. Ich glaube, es wäre nicht gut und Ihrer Geschichte nicht angemessen, wenn Sie sich in die Rolle eines kulturellen Vagabunden drängen ließen, der für mich jedenfalls in dieser amorphen Zuordnung zur russischsprachigen Diaspora zum Ausdruck kommt. Verkaufen Sie also Ihre Identität nicht unter Wert! Keine deutsche Volksgruppe hat so unmittelbare Begegnungen und kulturelle Erfahrungen im Umgang mit den Völkern Russlands und der Ukraine, aber auch mit den Völkern Zentralasiens und Sibiriens. Was diese Erfahrung bedeutet, habe ich ein wenig kennen lernen können, zuletzt am Rande der Regierungskommission in Belokuricha im März dieses Jahres. Wir saßen abends nach den Beratungen und nach einem offiziellen Programm zusammen und begannen gemeinsam zu singen, Mitglieder unserer Delegation aus Deutschland, Vertreter der russlanddeutschen Dachverbände und aus der Region sowie auch einzelne russische Regierungsvertreter. Ein blinder Russlanddeutscher, Alexander Michel, begleitete uns auf seinem Akkordeon. Er kannte alle die deutschen wie russischen Volkslieder, die da nacheinander angestimmt wurden und spielte sie mit großer Selbstverständlichkeit und Inbrunst. Lieder wie „Schön ist die Jugend“, oder „Im schönsten Wiesengrunde“ ebenso wie „Славное море…“ oder „Подмосковные вечера“. Die Basis für „zivilgesellschaftliche Kontakte“, die auf den deutsch- russischen Gipfeltreffen und Regierungskonsultationen der letzten Jahre vollmundig vereinbart wurden, ist viel schmaler als es den meisten der Unterzeichner entsprechender Abkommen bewusst ist. Die Russlanddeutschen, die in der deutschen Kultur verwurzelt – und durch die russische Geschichte geprägt sind, können in besonderer Weise helfen, zivilgesellschaftliche Brücken zwischen unseren Ländern zu bauen. Ich bin deshalb stolz darauf, dass es uns gelungen ist, auf der letzten gemeinsamen Regierungskommission für die Belange der Russlanddeutschen zu vereinbaren, dass Russlanddeutsche aus Russland wie Deutschland zukünftig stärker in den „Petersburger Dialog“ einbezogen werden sollen. Sie werden morgen zu einer Partnerschaftskonferenz zusammenkommen, die unter der Überschrift „Brückenpfeiler“ steht. Bei dieser Partnerschaftskonferenz wird Ihre Landsmannschaft mit den angereisten russlanddeutschen Dachverbänden eine gemeinsame Vereinbarung unterzeichnen. Herr Fetsch, Sie wissen wie sehr ich das begrüße. Dies ist im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung der Russlanddeutschen, hier können wir aber auch einen Beitrag leisten, der für die Beziehungen unserer Staaten wichtig ist. Wir wollen zivilgesellschaftliche Kontakte und es gibt vielfältige Bemühungen, diese Kontakte zwischen den GUS-Staaten und Deutschland zu verbessern. Eine der authentischsten und natürlichsten zivilgesellschaftlichen Brücken vermitteln die Russlanddeutschen. Nutzen wir also diese Chance und leisten wir so einen Beitrag auch zur Verständigung zwischen den Staaten. Ich danke der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland für diese und andere Initiativen, für die Unterstützung bei der Integration von Spätaussiedlern, ich danke ihr für den Beitrag zur Bewahrung der Identität der russlanddeutschen Volksgruppe, einer Identität, deren Erhaltung und Pflege für uns alle bedeutsam ist. Ich wünsche für die weitere Arbeit alles Gute, der Volksgruppe hier in Deutschland wie in den Herkunftsstaaten der Spätaussiedler. Dr. Christoph Bergner
|
< zurück | weiter > |
---|