Auszüge aus einer öffentlichen Diskussion am 4. Dezember 2007
Das Bürgerkomitee Leipzig hatte anlässlich der sich zuspitzenden Debatte um die neuen Sicherheitsgesetze Kritiker und Befürworter in die „Runde Ecke“ eingeladen. Es diskutierten Christoph Bergner, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren, Prof. Josef Isensee, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn, Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Dr. Karsten Rudolph, Innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen und Dr. Andreas Schurig, Sächsischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, moderiert von Helmut Frauendorfer, Journalist beim ARD-Magazin Fakt. Horch und Guck dokumentiert die Debatte, die sich an einen Vortrag von Prof. Isensee anschloss, in Auszügen. TOBIAS HOLLITZER (Begrüßung): Vor genau 18 Jahren, besetzten Bürger in Leipzig und vielen anderen Orten die Stasi-Dienststellen, in denen auch nach Mauerfall und Grenzöffnung weiter gearbeitet wurde. In der Folge wurde die kommunistische Geheimpolizei, die bis dahin zum Schutz der SED-Diktatur tief in die Privatsphäre der Menschen eingegriffen hatte, aufgelöst. „Rechtssicherheit statt Staatssicherheit“ war eine der Losungen der Demonstranten im Herbst 1989.
Der Begriff “Datenschutz“ machte bald die Runde. Jeder Bürger sollte auch in der DDR selbst über seine persönlichen Daten bestimmen können. Überwachung und Bespitzelung sollten ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Ein reichliches Jahrzehnt schien das auch geklärt – bis zum 11. September 2001. Er sollte die demokratische, westliche Welt in bis dahin nicht vorstellbarer Art verändern. Die Gefangenen im US-Lager Guantanamo, die jahrelang ohne Anklage festgehalten werden, oder der Folterskandal im Irak empörten die Öffentlichkeit. Doch auch in Deutschland werden neue Sicherheitsgesetze beschlossen, die mit einer erheblichen Einschränkung der Persönlichkeitsrechte einher gehen. Spätestens mit dem Einsatz von Geruchsproben zur Absicherung des G8-Gipfels im Sommer 2007 wurden Bezüge zu den Stasi-Methoden hergestellt. Inzwischen kursiert für die Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium die Bezeichnung „Stasi 2.0“. Stellen die neuen Sicherheitsgesetze eine Gefahr für die Demokratie dar? Droht bald wieder eine flächendeckende Überwachung? Oder sind dies nur notwendige Schritte zur Verteidigung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung? Dass sich eine Gleichsetzung der neuen Sicherheitsgesetze mit dem Ministerium für Staatssicherheit verbietet, sieht man aber allein schon daran, dass wir über diese aktuelle Sicherheitspolitik öffentlich miteinander diskutieren können. Eine Gleichsetzung bedeutete aber auch eine Bagatellisierung des tausendfachen Unrechts, das im Auftrag der SED durch die Stasi begangen wurden. Die Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen zeigte uns, dass die Staatssicherheit gar nicht so allmächtig war, wie wir immer dachten. Sie konnte beispielsweise gar nicht alle Telefone abhören, vermittelte aber diesen Eindruck. Und allein dieses Gefühl der permanenten Überwachung führte dazu, dass sich die überwiegende Mehrheit systemkonform verhielt. Aus dieser Erkenntnis, dass nämlich allein die theoretische Möglichkeit einer staatlichen Überwachung die Bürger in der freien Ausübung ihrer Grundrechte einschränken kann, leitete 1983 das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ab. HELMUT FRAUENDORFER (Moderator): Der Riss geht quer durch die Gesellschaft, quer durch die Parteien: Es geht nicht nur um die Frage, inwieweit sich der Bürger durch den Staat durchleuchtet fühlt. Es beginnt vielmehr schon bei der Überwachung des Konsumverhaltens von Menschen durch die Karte, mit der man zahlt, oder bei der einheitlichen Steuernummer. Es geht um die Chipkarte, die Gesundheitskarte. Es geht um die Verwendung der Mautdaten. Es geht um Onlinetelefonate, die auch jetzt schon abgehört werden dürfen. Es geht um den Reisepass mit Fingerabdruck, um das biometrische Foto. Herr Schurig, was ist Sicherheit und wie viel braucht der Bürger davon?
ANDREAS SCHURIG: Quantitativ können Sie das nie sagen; Sie müssen sich immer den Einzelfall anschauen. Ich würde mich freuen, wenn meine Gegenüber, mit denen ich in meiner täglichen Arbeit in den Ministerien bzw. im Parlament zu tun habe, eine solche Differenziertheit an den Tag legen würden. Stattdessen unterbreiten diese oft Vorschläge, denen die Verfassungswidrigkeit schon auf der Stirn geschrieben steht. Ich erinnere nur daran, dass der Sächsische Innenminister vor kurzem eine öffentlich zugängliche Sexualstraftäterdatei forderte. Ich erlebe, dass das Überschreiten von Grenzen bewusst kalkuliert wird, indem zum Beispiel bei einem Gesetzentwurf verfassungsrechtlich bedenkliche Passagen einbaut werden. Ich erlebe selten, dass sich die Initiatoren von Gesetzen fragen: Welche Wertentscheidungen sind im Grundgesetz oder in der Sächsischen Verfassung getroffen worden und wie setze ich diese rechtlich um? Wo sind für mich die Grenzen?
FRAUENDORFER: Das sind die politischen Funktionsmechanismen in Sachen Sicherheit. Und wieviel verkraftet der Bürger?
SCHURIG: Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Wenn Sie sich einmal anschauen, warum die Leute 1983 beim Volkszählungsurteil auf die Straße gegangen sind – darüber würde sich heute niemand mehr aufregen. Ich stelle fest, dass den Bürgern die Preisgabe von Informationen vielfach egal geworden ist.
FRAUENDORFER: Herr Konken, wie haben Sie die Zeit der Volkszählung in Erinnerung? Und im Vergleich: Wie ist das, wenn heutzutage ein Informant anruft? Kann man noch Vertrauen in die Telefonleitung haben?
MICHAEL KONKEN: Wo gibt es den Aufstand in Deutschland, weil schon seit Jahren die freiheitlichen Grundrechte immer mehr eingeschränkt werden? In den 70er Jahren gab es einen riesigen Aufruhr, sodass die Volkszählung so zurückgefahren werden musste, dass eigentlich kaum noch etwas übrig blieb. Und heute nimmt man das hin. Ist denn dieses Volk den Grundrechten gegenüber schon gleichgültig geworden?
Ein Beispiel: Vor anderthalb Jahren kam in Dresden aus einem Ministerium ein Tipp, dass am Morgen bei einem Minister eine Hausdurchsuchung stattfinden wird. Daraufhin stand ein Fotoreporter der Dresdner Morgenpost vor der Tür des Ministers, machte ein Foto und die Zeitung berichtete. Das allein war Anlass, die Telefondaten der Redaktion rückwirkend drei Monate lang zu überprüfen, um herauszufinden, wo die Lücke im Ministerium war. Jetzt frage ich Sie: Wo war ein Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft vorhanden, das diesen schweren Eingriff rechtfertigte? Nur weil ein Journalist seinem Auftrag gerecht wurde und berichtet hat, dass bei einem gewählten Vertreter des Volkes eine Hausdurchsuchung stattfand. Solche Fälle haben wir mittlerweile alle zwei bis drei Monate und das ist nur die Spitze des Eisberges. Wir haben im DJV seit Anfang der 90er Jahre mehr als 200 derartiger Fälle registriert. Wie kann überhaupt ein Journalist heute noch an Informationen kommen? Ich empfehle jedem den Weg zur Parkbank. Ich würde heute nicht mehr mit einem Informanten telefonieren, ich würde nicht mehr mailen. An all diese Informationen kommen die Ermittlungsbehörden heran. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ermittlungsbeamte gibt, die dann einfach wegschauen und sagen: Diesen Teil der Informationen, der da noch stand, habe ich nicht gesehen. Wer das glaubt, ist naiv. FRAUENDORFER: Herr Rudolph, ein ziemlich düsteres Szenario, ist es wirklich so? Und müssten wir nicht auch vorsichtig sein, kein Spiel mit den Ängsten beider Seiten anzustoßen?
KARSTEN RUDOLPH: Die Beobachtung, dass die Politik in einem relativ schnellen Prozess Sicherheitsgesetze verabschiedet hat, ist richtig. Ebenso richtig ist, dass die Öffentlichkeit das nicht sehr aufmerksam verfolgt. Die eigentliche Frage ist aber, wie die Politik das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit ausbalanciert. Es war immer üblich, dass die Polizei erst dann handeln darf, wenn ein Anfangsverdacht vorliegt oder wenn eine konkrete Gefahr besteht und der Störer zu identifizieren ist. In diesem Fall wird eine Gefahr konkret abgewehrt. Heute reden wir – vor dem Hintergrund des internationalen Terrorismus – darüber, wieweit die Polizei und die Sicherheitsdienste in die Grundrechte der Bürger eingreifen dürfen, wenn noch gar nicht klar ist: Wo liegt die konkrete Gefahr, wer ist eigentlich der Störer?
Nach dem 11. September haben alle gedacht, in der Bundesrepublik gibt es islamistische Schläfer. Daraufhin wurden Millionen Bürger einer Rasterfahndung unterzogen. Das Ergebnis war gleich Null. Aber dennoch wurden dadurch die Informationsrechte von Millionen Bürgern beeinträchtigt. Ein Gericht hat zu recht gesagt: Ohne Anhaltspunkte darf keine Rasterfahndung durchgeführt werden. Die Gefahren müssen konkreter beschrieben werden, wenn der Staat so in die Freiheitsrechte eingreift. Die Rechtsprechung betraf in den letzten Jahren immer genau diesen Punkt: Wie weit darf der Staat mit seinen Sicherheitsbehörden nicht direkt verdächtige Bürger in ihren Freiheitsrechten beschneiden, um große Gefahren abzuwehren? Dazu gibt es inzwischen schon eine gefestigte Rechtsprechung, die nicht von einem „Grundrecht auf Sicherheit“ ausgeht, wie es Prof. Isensee postuliert. Man kann Sicherheit nur in Freiheit haben. Wer versucht, Sicherheit in Unfreiheit zu bringen, der landet natürlich in Diktaturen. Das ist die deutsche Erfahrung. Natürlich hat der Staat auch die Aufgabe, den Bürger zu schützen, die Sicherheit zu garantieren. Die Maßnahmen dazu muss er aber immer gut begründen und offen legen. Das ist immer ein Abwägungsprozess, für den ich mir mehr Sensibilität wünsche. FRAUENDORFER: Herr Isensee, gibt es ein Grundrecht auf Sicherheit und hat es Priorität vor dem Grundrecht auf Freiheit?
JOSEF ISENSEE: Ich weigere mich, Freiheit oder Sicherheit zu sagen. Grundrechte haben zwei Seiten. Sie schützen Freiheit vor dem Staat, das ist die klassisch liberale Gestalt. Gleichzeitig fordern sie den Schutz durch den Staat vor privatem Übergriff. Dafür ist die Formel „Grundrecht auf Sicherheit“ ein Kürzel. Eines muss klar sein: Es gibt weder absolute Sicherheit, noch absolute Freiheit. Freiheit kann in einer Gemeinschaft immer nur auf der Basis friedlichen Zusammenlebens existieren und entfaltet werden. Perfekte Sicherheit kann noch nicht einmal eine totalitäre Diktatur garantieren.
FRAUENDORFER: Herr Bergner, ist es wirklich so: Wenn ich als Journalist heute von einem Informanten angerufen werde, muss ich mich mit ihm im Tiergarten treffen? Haben wir es mit einem Globalverdacht gegenüber allen Bürgern zu tun?
CHRISTOPH BERGNER: Ich achte die Presse- und die Medienfreiheit und halte sie für einen unverzichtbaren Bestandteil der Demokratie. Aber ich würde das Thema ungern auf das Berufsinteresse der Journalisten einschränken. Wir haben – in Vollzug einer EU-Norm – im Bundestag beschlossen, dass die Telekommunikationsunternehmen Verkehrsdaten, die ohnehin aufgenommen werden, für einen definierbaren Zeitraum speichern müssen. Das eröffnet Ermittlungsbehörden die Möglichkeit, auf richterliche Anweisung konkrete Recherchen vorzunehmen. Dabei ist nicht festzustellen, worüber telefoniert wurde, sondern wer zu welchem Zeitpunkt mit wem telefonierte. Innerhalb der EU sind, was die Speicherpflicht betrifft, die Forderungen sehr viel weitgehender als in Deutschland. Anlass für die europäische Richtlinie waren die Terroranschläge in Madrid. Bei den Ermittlungen dazu brachte die Auswertung von Handydaten den entscheidenden Fortschritt.
FRAUENDORFER: Wie erklären Sie einem Bürger, der Angst hat, dass er unter einem Globalverdacht steht, dass dies nicht der Fall ist?
BERGNER: Ich sage ihm, dass die Daten nur im konkreten Ermittlungsfall und auf richterliche Anweisung abgefragt werden dürfen.
SCHURIG: Am Beispiel der Telefondatenspeicherung kann man den Paradigmenwechsel deutlich machen, der sich gerade vollzieht. Sie reden nicht mehr über den Störer, sondern im Blickpunkt dieser Maßnahme sind alle, die am Telekommunikationsverkehr teilnehmen. Um das zuzuspitzen: Würden Sie sich freuen, wenn die Post Ihre Briefe kopiert und dann ein halbes Jahr lang die Adressen aufbewahrt?
Ich erlebe übrigens mittlerweile das dritte Verfahren, das mit dem Anspruch der Terrorismusbekämpfung startet aber bei privatrechtlichen Fragen endet. Bei der Kontendatenabfrage war der Fall ähnlich. Diese ist ursprünglich wegen der organisierten Kriminalität eingerichtet worden. Im zweiten Schritt wurde sie zur Prüfung der Steuerehrlichkeit ausgenutzt. Inzwischen ist es so, dass bei BAföG-Anträgen und Hartz IV und überall, wo im Sozialbereich steuerrechtliche Fragen eine Rolle spielen, die Konten abgefragt werden können. Das technische Potenzial eines einmal eingeführten Verfahrens wird immer ausgenutzt werden, die rechtlichen Rahmenbedingungen und Schranken werden immer wieder gekippt. ISENSEE: Ich meine auch, Ermittlungen gegen Journalisten brauchten keinen Volksaufstand auszulösen, weil das Bundesverfassungsgericht hier einschlägig entschieden hat. Die Presse ist ganz anders gefordert durch die öffentliche Sicherheit, etwa in Fällen wie dem dänischen Karikaturenstreit. Wenn sich abzeichnet, dass Presseveröffentlichungen und Pressekommentare, Bilder und Karikaturen nach Maßgabe islamistischer Scharia unter Zensur gestellt werden, dann freilich ist das Sicherheitsproblem gegeben. Und wenn Journalisten um Leib und Leben fürchten müssen, wegen unbequemer Äußerungen, dann sind wir im Herzen des modernen Problems.
Man sollte mit dem Wort Generalverdacht vorsichtig sein. Der Umstand, dass ich einen Reisepass und einen Personalausweis habe und zuweilen vorweisen muss, dass ich mich dem Melderecht füge, ist zunächst einmal kein Generalverdacht. Es gibt auch ein legitimes Interesse des Staates, über ein Wissensfundament zu verfügen, um überhaupt sinnvoll verwalten zu können und nicht an der Realität vorbei zu planen, Gesetze zu schaffen und Gesetze zu vollziehen. BERGNER: Die modernen Kommunikationstechniken bescheren uns einen wachsenden Datenanfall. Dahinter steht auch ein Rationalisierungsbedürfnis. Das beginnt bei der Chipkarte für die Sparkasse und geht jetzt mit der Gesundheitskarte weiter. Ich sehe also auch die Herausforderung, angesichts der Datenmengen zu fragen, welche Verfügbarkeit legitim ist und welche nicht. Diese Frage sollte aber nicht ausschließlich dem Staat gestellt werden. Dieser ist, verglichen mit vielem, was im privaten Bereich geschieht, sogar außerordentlich gut kontrolliert.
FRAUENDORFER: Herr Konken, ist das Bedrohungsszenario, über das wir sprechen, überhaupt real oder künstlich gemacht? Und sind wir Journalisten, die wir die Medien bedienen, nicht auch Schuld daran?
KONKEN: Innenminister Wolfgang Schäuble überzieht das Land mittlerweile in seiner Manie mit einer Gefährdungslage, die ihm wohl ganz recht ist, um die Gesetze immer schärfer zu fassen. Ein Beispiel: Das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar festgelegt, den Informantenschutz zu stärken. Was ist passiert? Man hat Journalisten nicht mehr in die erste Priorität des absoluten Schutzes genommen, sondern nur noch die Geistlichen, die Strafverteidiger (nicht alle Anwälte) und die Abgeordneten. Während andere, mit denen Sie wirklich ihre geheimsten Daten austauschen, die Ärzte, die Rechtsanwälte und die Journalisten, jetzt in die zweite Priorität rücken.
FRAUENDORFER: Wir wollen keine Online-Durchsuchungen, sind aber froh, wenn Terroristen gefasst werden. Wir wollen zwar die Sicherheit, aber die Drecksarbeit sollen die anderen machen, Herr Rudolph?
RUDOLPH: Das sehe ich nicht so. Was ich eher bedaure ist, dass die europäische Position so schwach ist gegenüber bestimmten amerikanischen Forderungen. Wir rüsten jetzt alle aus mit Reisepässen und Personalausweisen mit biometrischen Merkmalen. Sagen Sie einmal einem Amerikaner, er möchte den Personalausweis vorzeigen mit biometrischen Daten. Der sagt Ihnen: Wir leben doch nicht in einer Diktatur.
Es ist klar geworden, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit gibt. Meiner Meinung nach muss der Staat uns plausibel sagen, warum wir aus Gründen der Sicherheit auf bestimmte Freiheitsrechte verzichten müssen. Ich glaube auch, dass staatliches Handeln an Legitimation verliert, wenn man ständig Bedrohungsszenarien aufbaut, die nicht transparent sind. Damit leugne ich nicht, dass wir eine Bedrohungslage haben. Aber mit dem ständigen Orakeln verliert der demokratische und freiheitliche Staat die Legitimation der Bürger, für die Sicherheit einzutreten. BERGNER: Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen wir bei jeder Gesetzgebung. Außerdem gibt es reale Bedrohungslagen, die wir nicht fahrlässig bagatellisieren dürfen. Es existiert mit dem Islamismus nun einmal eine potente Ideologie auf dieser Welt, die die Grundlagen unseres Gemeinwesens zerstören und durch eine andere Ordnung ersetzen will. Wir haben es mit Kräften zu tun, die quasi einen Krieg führen, sie führen ihn aber mit kriminellen Mitteln. Das heißt, dass die Grenzen zwischen den klassischen Instrumenten der äußeren und der inneren Sicherheit jedenfalls in die Diskussion kommen. Das bedingt ganz automatisch eine Gewichtsverlagerung in der Sicherheitsarchitektur zugunsten der Prävention.
PUBLIKUM 1: Man muss zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen. Mir geht es um die Verhältnismäßigkeit. Ich bin heute mit dem Auto von Berlin nach Leipzig gefahren. Unterwegs wurde ich von jedem Mauterfassungssystem fotografiert. Man hätte auch ein Mautsystem ohne Erfassung persönlicher Daten einrichten können, nach dem Modell der Telefonkarte. Dasselbe gilt für die biometrische Erfassung von Daten in den Pässen. Natürlich sollte ein Pass fälschungssicher sein, aber ich brauche ihn doch nicht mit RFID-Chip, der automatisch und verdeckt ausgelesen werden kann.
Diese Techniken können natürlich missbraucht werden, hier gibt es quasi ein Naturgesetz: Was missbraucht werden kann, wird auch missbraucht. PUBLIKUM 2: Herr Bergner, Sie hatten gesagt, die Daten werden bei den Telekommunikationsunternehmen sowieso abgespeichert. Das stimmt aber nur zum Teil. Bis vor kurzem war es sogar so, dass bei Flatrates die Daten nicht abgespeichert werden durften, weil die aus abrechnungstechnischen Gründen gar nicht benötigt wurden.
ISENSEE: Der Rechtsstaat ist kein Rechthaberstaat. Das war die DDR. Er ist ein Staat, der sich seiner eigenen Fehlbarkeit bewusst ist, und der deswegen ein hoch kompliziertes System der Kontrollen im Zuge der Gewaltenteilung eingeführt hat. Das ist die Leistung, die ihn turmhoch über den sozialistischen Staatenblock in seinem totalitären Anspruch erhebt. Er ist der Staat, der seine eigene Irrtumsanfälligkeit begreift und weiß, dass der menschliche Faktor auch bei ihm, auch bei seinen Amtsträgern wirkt. Deswegen wird er begrenzt durch Grundrechte, deswegen wird Gesetz, Verwaltungsakt und Urteil, jeweils anderen Institutionen übertragen und in ein System der Balance und Kontrollen eingebracht, zu denen letztlich auch immer noch die Kontrolle durch die Öffentlichkeit gehört.
Es wurde gefragt, was sie davor schützen kann, vom Bürger zum Störer zu werden. Erst einmal muss ich sagen, der Störer und das Opfer genießen beide den Schutz der Grundrechte. In die Rolle des Störers gerät man prinzipiell nur dadurch, dass man sich entscheidet, gegen die Rechtsordnung zu handeln und gegebenenfalls die Rechte anderer oder der Allgemeinheit zu verletzen. Man kann natürlich auch unter falschen Verdacht geraten. Dann gibt es aber immer die Möglichkeit der üblichen Kontrollmechanismen, insbesondere die Rechtsschutzmöglichkeiten vor einem unabhängigen Gericht. Die Sicherheit ist somit meine Fähigkeit, die mir vom Recht gegebene Freiheit auch praktisch und furchtlos auszuüben. Das ist der ganz wesentliche Faktor, von dem aus Sicherheit zu definieren ist. SCHURIG: Weil wir hier in Leipzig sind, will ich noch auf die Montagsdemonstrationen ´89 verweisen. Eines der Transparente von damals hat mir unheimlich gut gefallen: „Wer eine einzelne Freiheit in Frage stellt, stellt die Freiheit in Frage!“ Dies müssen sich die Verantwortungsträger eines demokratischen Rechtsstaats immer wieder vor Augen halten.
RUDOLPH: Es ist richtig, Sicherheit dafür zu bieten, dass die freie Meinungsäußerung nicht unter Bedrohungen – etwa durch den islamistischen Terrorismus – leidet. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass der Rechtsstaat niemals seine eigenen Prinzipien aufgeben darf, wenn er sich selbst verteidigt. Dann wäre er in der Tat auf dem Weg in den Überwachungsstaat.
Textdokumentation: Yvonne Fiedler
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